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Der zerschossene Himmel oder Das Vaterunser und die erste Sure des Korans

Zwei große Metallrahmen, auf denen sich durchlöcherte schwarze Tafeln aus Ton eng aneinanderfügen: Hunderte Punkte leuchten und strahlen, Reflexionen einer hellen Wand durchdringen die Löcher der schwarzen Keramikfliesen.
Ein Sternenhimmel?
Treten wir aber etwas zurück, entstehen aus der Illusion einer Himmelsdarstellung die Worte von Gebeten. Die Texte des Vaterunsers und die arabischen Schriftgirlanden der ersten Sure des Korans, genannt „Die Eröffnende“, werden plötzlich lesbar, Worte, die seit Jahrhunderten Kraft spenden, Trost schenken und die für Millionen von Menschen Ausdruck ihres tiefen Glaubens sind.
Am Boden vor den tönernen Tafeln sind zwei flache Eisenwannen platziert. Schimmernde Metallplättchen beinhalten sie, ästhetisch anzusehen funkeln und glänzen die silbernen Teilchen und werden zur Illusion von unter dem Sternenhimmel glitzernden Meereswellen.

Eine romantische Darstellung der erstaunlichen Ähnlichkeiten zwischen den wichtigsten Gebeten zweier Weltreligionen? Guter, schöner Schein?

Eine Illusion. Die Worte des Vaterunsers und der ersten Sure wurden in die noch nassen Tonfliesen hineingeschossen und mit Nägeln weiterbehandelt. Gebrannte Tontafeln, deren Verwindungen im Ofen sich den U-Profilen des Metallgerüstes widersetzten, wurden maschinell grob zugeschliffen, mit Gewalt den Führungen angepasst. Und die schimmernden Plättchen am Boden sind bei näherer Betrachtung nichts anderes als die verformten Bleiprojektile, durch welche die Schusslöcher entstanden sind.

Gebete also, geschrieben durch Akte von Gewalt.

Die Arbeit, welche zum Thema „Illusion“ für die Biennale in Kapfenberg entstanden ist, setzt sich nicht nur mit einer assoziativen Täuschung auseinander. Der Begriff taucht in der Installation auch in einem anderen Sinn des Wortes auf:
als vergebliche Wunschvorstellung, Glauben mit Gewalt durchsetzten zu können.

Reine Illusion? Oder doch beklemmende Realität?

„Kb05“, Katalogtext zur 5. Internationalen Keramikbiennale Kapfenberg
2005, S. 38 f.