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Keramik. Aktuelle Tendenzen aus Österreich

Armselige Menschlein blicken heraus aus der Fliese, als wäre es eine mittelalterliche Fassade, über den Köpfen erhebt sich - ein Heiliger? Gottvater? - nein, ein Held unserer Zeit: Superman.
Wilfried Gerstels Wandreliefserie „Ein Nothelfer“ verbindet die Tradition mittelalterlicher Bildsprache mit Elementen der Comic-Kultur, handwerkliche Feinarbeit in der Ausformung miniaturhafter Dekorelemente, Menschen und grotesker Figuren in Ton mit computergeneriertem Bildmaterial. Die aus neun Einzelbildern bestehende Serie lässt Superman fliegen, erzählt eine Geschichte.

Optisch und handwerklich unterscheiden sich die zwei dargestellten Welten stark: Bloßer Ton dient zur Darstellung mittelalterlicher Bilder, was der Künstler wie folgt begründet: „Meine Arbeit ist von der romanischen Skulptur inspiriert, deren Ehrlichkeit und Expressivität mich immer bewegt hat. Ausdruck dieses Reduzierens auf das Elementare ist die Entscheidung für den unglasierten nackten Ton, da jegliche Glasur für mich vom Urtümlichen, Wesentlichen ablenkt.“
Im Gegensatz dazu steht Superman in seinem blau-roten Kostüm, das ihn sofort erkenntlich macht. Dazu wurde eine bedruckte Folie auf den gebrannten Ton appliziert und die Fliese nochmals bei niedriger Temperatur gebrannt – die zeitgemäße Umsetzung eines Superhelden unserer Zeit in Konfrontation zur bloßen gebrannten Erde, der Darstellungsform einer vergangenen Weltanschauung.
So wie einst im Mittelalter Bilder und Architektur dazu dienten, Geschichten zu erzählen und dem einfachen Volk, das des Lesens nicht mächtig war, religiöse Inhalte zu vermitteln, kann man die Comic-Literatur unserer Zeit ebenso als Volks-Lektüre bezeichnen. Dennoch bildet das Aufeinandertreffen dieser beiden Erzählweisen einen starken Kontrast. Nicht nur Superman und der Mensch stehen sich gegenüber, sondern auch zwei verschiedene Zeitalter. Die „Fast-Food-Bücher“ des 20. Jahrhunderts werden konfrontiert mit der religiösen Belehrung des Mittelalters, wobei beiden Sprachen eine starke Gestik zu Eigen ist.
Die Supermänner und – frauen des Mittelalters waren wohl die Heiligen, mit „übermenschlichen“ Kräften versehen, Vorbild und Hilfe der „normalen“ Menschen, anbetungswürdig, verehrt, um Hilfe angefleht und zur Ikone stilisiert. So wie die Ikonen unserer Zeit Teil der „populären“ Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts sind.
Der Historiker Pieter M. Judson sieht in den Zitaten mittelalterlicher Kunst folgende Absicht: „Er (Gerstel) stellt dadurch alles in Frage, was man vielleicht nicht in Frage stellen darf. Die Sprache des frommen Mittelalters wird zum höchst kritischen Untersuchungsinstrument, um das zeitgenössische Verhalten des Menschen zu erforschen.“

In den ersten zwei Fliesen wird Superman vorgestellt, es folgt ein „Mission Statement“ des Helden. Dann wird Superman nachdenklich, stellt fest, daß Habgier unter den Menschen herrscht, und schreitet zur Tat. Das Zitat der sechsten Fliese, „Pa weiß, daß nicht alle Samen aufgehen, aber er gibt jedem eine Chance zu wachsen“, erinnert stark an christliche Inhalte, ein Gottvater wird hier genannt, Superman wäre folglich Gottes Sohn. Den alsbald Zweifel befallen, wie Judson es auf den Punkt bringt: „Ist es vielleicht nicht besser, die sinnlichen Genüsse des menschlichen Daseins zu genießen als Superkräfte zu besitzen?“
Auf den Zweifel folgt Resignation, der Held glaubt nicht mehr daran, etwas verändern zu können. Die letzte Fliese zeigt den Tod Supermans, der Held stirbt, ohne die Menschen erlöst zu haben, und wirft die Menschheit auf sich selbst zurück: „Das Problem, sagte Pa, ist der Mensch.“

Katja Miksovsky, Kustodin für Glas und Keramik im MAK
Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst

„Keramik. Aktuelle Tendenzen aus Österreich“, Katalog zur Ausstellung im MAK, Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, 2005, S. 44 ff.

Keramik. Aktuelle Tendenzen aus Österreich

Katja Miksovsky, Kustodin für Glas und Keramik im MAK
Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst