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Wonder Woman: weibliche Stärke als männliche Fantasie

Wonder Woman ist aus der Not des Zweiten Weltkriegs geboren, als die USA im Kampf gegen die Nazis auch starke Frauen brauchten. Superman needs, therefore meets Wonder Woman: Die war eine Amazone, verfügte über wunderbare Kräfte. Um nicht zu sehr zu verschrecken, war sie aber nicht nur klug wie Athene, sondern auch lieblich wie Aphrodite.1 Mit schwingendem Röckchen aus dem Stoff der US-Fahne und putzigen Stiefelchen kämpfte sie Seite an Seite mit den GIs gegen braune Nazimonster. Am friedliebenden Frauenwesen sollte die (Männer-)Welt genesen, meinte einer der Schöpfer Wonder Womans, der Psychologe William Moulton Marston, der gemeinsam mit seiner Frau Elizabeth nicht nur die Comics Figur, sondern auch einen Lügendetektor erfunden hat.2 Kein Zufall ist es daher wohl, wenn das goldene Lasso der Heldin alle, die sich darin verfangen, zwingt, die Wahrheit zu sagen.

Die Wonder Woman, die uns seither in immer wieder leicht abgewandelter, den Zeitläufen und ihren verschiedenen Körper- und Geschlechteridealen ästhetisch angepasster Form entgegenspringt und -schwingt, ist aktiv, rettet und hilft, ist zur Stelle, wenn sie gebraucht wird, handelt schnell und sicher. So ist sie Fläche für vielerlei Projektionen: glühenden Patriotismus, feministische Ermächtigung oder sexuelle Lust.

Wilfried Gerstels Wonder Woman ist noch einmal anders: Sie kam erst einmal tot in die Welt, starr auf dem Rücken liegend in einem Reliquienschrein3 unter die 14 Nothelfer4. Ihr Lasso hängt schlaff im Gürtel, kein energiegeladener Blitz weit und breit. Was kann diese Verwandlung bedeuten? Ob die Frau im Satintrikot – wie die katholischen Heiligen immer nur das Gute im Sinn und trotzdem oder gerade deswegen gequält – erst durch ihren opferbereiten (Märtyrerinnen-)Tod zu übermenschlichen Kräften kommt? Und wer ist es eigentlich, der oder die zu Beginn des 21. Jahrhunderts Hoffnung in die Comic-Heldin setzt? Waren die Heiligen die Comic-Figuren der Vormoderne, oder sind die trashigen Medienprodukte die Heiligenfiguren der Gegenwart? Nimmt in unserer Gesellschaft greller Kommerz die Stelle kontemplativer Mystik ein? Jedenfalls scheint, so könnte man Wilfried Gerstels Darstellung der Heroine lesen, die Zeit der zupackenden Helden und Heldinnen, die immer wissen, was zu tun ist, vorbei.

Das jedenfalls legt auch die Wonder Woman aus der späteren computergenerierten Collagenserie5 nahe. Die Figur ist fremd in der Welt, schwingt sich kaum mehr auf zur performativen Demonstration ihrer Kraft, rettet nur mehr vereinzelt und akzidentiell, zum Beispiel, wenn sie an Wolkenkratzer erinnernde, sich bereits gefährlich neigende Türme mit ihrem Lasso am Einstürzen hindert. Meist scheint Wonder Woman müde, vielleicht auch ernüchtert von all dem Aktionismus der Jahrzehnte, die seit ihrer Erfindung am Anfang der 1940er Jahre vergangen sind: An die Stelle der entschlossenen Tat ist der Zweifel getreten. Fast sieht man sie resigniert den Kopf schütteln ob der menschlichen Verschrobenheit. Wonder Woman ist nicht belustigt angesichts der zeitlich entrückten, aber doch sehr gegenwärtigen wunderlichen Menschlichkeiten. Sie ist verstört, mitunter in tragischer Pose erstarrt. Sie zwingt nicht mehr ihre Gegner mit dem Lasso zur Wahrheit, sondern Wilfried Gerstel schickt sie auf die Suche nach einer Wahrheit, die nicht mit Zwang zu erreichen ist.

So weit, so bedeutungsschwer. Allerdings: Im 21. Jahrhundert stellt die Comic-Heldin des 20. ihre Sprech-, genauer: Denkblasen-Sätze in für sie neue Welten: Der eklektische Zugriff Wilfried Gerstels macht sich die vielgestaltigen, farbenreichen Bilderwelten des Spätmittelalters und der Renaissance zu Eigen. Er lässt Wonder Woman zwischen etwas – sagen wir: verfremdeten – gotischen Steinaposteln, spätmittelalterliche Geißlern6 oder wunderlichen, wie aus alten Kathedralen kommenden Mensch-Tier-Wesen sinnieren. Die Amazone taucht auf im Spiegel einer sich tugendsam das Haar bürstenden Gobelin-Prinzessin, die im späten 14. Jahrhundert schon einmal die Hure Babylon gab,7 unter Einhörnern und Fabellöwen. Sie schwingt ihr rettendes Lasso über den selbst- und zukunftsvergessenen Narren von Breugel dem Älteren8, die – wie aus der Pestzeit stammend – vor einer Darstellung der Türme des Schlosses von Vincennes aus dem frühen 15. Jahrhundert Kegel spielen.9

Der so entstehende Clash der Zeiten und Bildkulturen lässt hinter der Tragik der resignierten Heldin einen ironischen, sehr gegenwärtigen Blick auf die conditio humana aufblitzen, schafft Anlass und Raum für die Fragen derer, die die Bilder betrachten. Damit gibt Wilfried Gerstel der alten Geschichte von Wonder Womans wundersamen Kräften eine ganz neue – und originäre – Wendung.

Maria Mesner
Dozentin für Zeitgeschichte und Gender Studies an der Universität Wien

1 Introducing Wonder Woman, in: All Star Comics #8, zitiert nach: Les Daniels, Wonder Woman. The Life and Times of the Amazon Princess. The Complete History, o. O. 2000, 30.

2 http://de.wikipedia.org/wiki/William_Moulton_Marston [Zugriff: 27. Juni 2009].

3 Hängesarkophage, dreiteilig, Ton, Digitaldruck hinter Acrylglas kaschiert (2003).

4 Installation, 14-teilig, Holzpodeste, Acrylglassäulen mit Keramikteilen und Kunstblut. 14 verborgene Lautsprecher erzeugen unter jeder Acrylglassäule in periodischen Abständen Herztonfrequenzen, die das Blut der Märtyrer in Schwingung versetzen (2003).

5 Diasec auf Aludibond-Platten hinter Acrylglas (2008).

6 Pietro di Domenico da Montepulciano, Schutzmantelmadonna, 15. Jahrhundert.

7 Les tapisseries de l'Apocalypse, 1375B1379, Schloss Angers.

8 Pieter van der Heyden nach Pieter Breugel dem Älteren, „Das Fest der Narren“, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.

9 Kalenderblatt Dezember aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry „Les très riches heures du Duc de Berry“, 1410B1416, fertiggestellt 1485B1489.